Traditioneller Bogenbau
Traditioneller Bogenbau – eine Standortbestimmung
Der Bogenbau mit traditionellen Mitteln hat in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen, was einerseits mit einer verstärkten Nachfrage an historischen Nachbildungen aus der Mittelalter- und Reenactment – Szene zu tun hat, andererseits aber auch mit der Erfahrung derjenigen Bogenschützen, die längere Zeit an der Front der technischen Entwicklung mitgeschossen haben und nun die Einfachheit und unmittelbare Erfahrung des häufig als primitiv bezeichneten Holzbogens zu schätzen wissen.
So wie die amerikanische Bogenszene die technische Weiterentwicklung im Bogenbau nach Fred Bear und Anderen vorangetrieben hat, gab es schließlich auch dort eine energische Gegenbewegung, eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln, wie sie von den Autoren der vier Bände der „Bibel des traditionellen Bogenbaus“(Guilford, Connecticut 2008) mit großer Hingabe betrieben wird.
An dieser Stelle empfehle ich, wenn möglich, unbedingt den Originaltext zu lesen, da die Übersetzer es nicht immer geschafft haben, Wortwitz und Ironie, oder auch wichtige Begriffe hinlänglich in die deutsche Sprache zu übertragen.
Jedenfalls sind diese Bücher ein lebendiges Zeugnis einer positiven Auseinandersetzung mit der amerikanischen Tradition, welche hier nicht erst mit den großen Trecks beginnt, insofern ausführlich auch die Bogentypen der unterschiedlichen Indianerstämme und deren handwerkliche Fertigkeiten in der Herstellung von Pfeilen thematisiert werden.
Liest man F. Bears Werk „The Archer´s Bible” (Garden City, New York 1980), so scheint es diese Tradition gar nie gegeben zu haben. Bear, selbst Hersteller der ersten glaslaminierten Bogen, sieht die Entwicklung linear – parallel zur technischen Evolution.
In Europa liegen diese konträren Bestrebungen noch in den Anfängen oder werden akademisch – museal behandelt, vielleicht mit Ausnahme ein paar weniger mutiger Personen, die sich dem Sog nach unbedingter Effizienz widersetzen.
Eine Ursache für diesen Sog sehen wir in der Vereinsstruktur, in der sich hierzulande der Bogensport seit den fünfziger Jahren entwickelt hat. Die Bogenschützen sind dabei in aller Regel in Schützenvereinen integriert, in denen unterschiedliche Disziplinen des Schießsports mit Lang- und Kurzwaffen ausgeübt werden. Natürlich gibt es dabei auch Schützen, die sich eher historischen Feuerwaffen, Vorderladern, Winchester, Colt usw. zuwenden, aber in der Praxis findet das Training mit modernen Waffen statt, zumal es auf Wettkämpfen mit Sicherheit auch darauf ankommt, in Bezug auf das Material auf der Höhe der Zeit zu sein.
Diese Tendenz hat sich für die Sektion Bogensport ebenfalls herausgebildet. Kaum ein Übungsleiter wird dem Neuling als Anschaffungsvorschlag für die erste Ausrüstung zu einem traditionellen Bogen aus einem Stück Holz raten. Warum?
Wir nehmen eine ganze Reihe von Begründungen für diesen Umstand an, angefangen mit den eigenen Vorurteilen, die Menschen immer wieder davon abhalten, sich mit Dingen, die sie schon zu kennen glauben, noch einmal neu auseinander zu setzen.
In diesem Fall geht es um die immer wieder vorgetragene Haltung, traditionell hergestellte Bogen in die Ecke der Spielzeuge aus Kindertagen abzustellen. Diese von Herablassung geprägte Haltung gegenüber handwerklichen Spitzenprodukten begegnet uns täglich, und wenn bloß in der seligen Erinnerung, dass wir als Kinder den nächsten Haselstrauch geschlachtet haben, an den Stecken, nass wie er noch war, eine Packschnur gebunden haben, um damit mehr oder weniger erfolgreich ein paar Binsenpfeile verschossen.
Tradition und Innovation
Von diesem Image will der Vereinssport sich absetzen, Robin Hood (Legolas) war Kindheit, jetzt ist Hightec.
Um die zuvor gestellte Frage allgemein und bündig zu beantworten, stammt dieses Ressentiment (und ich möchte hier keinem Fachübungsleiter zu nahe treten!) eigentlich aus einer Quelle des Misstrauens gegenüber der Natur, gegen die Natur in uns selbst, der wir es nicht mehr zutrauen, aus einem Stück Holz einen vernünftigen Bogen zu machen, der immerhin über tausende von Jahren das Fleisch auf den Tisch geliefert hatte.
Wir haben kein Wissen von der handwerklichen Tradition im Bogenbau außer dessen rudimentären Ansätze in Kindertagen .
Die Herausforderung
Wir müssen weiter fragen, aus welchen Quellen dieses Misstrauen sich speist. Da dürfte wesentlich die Industrie im Spiel sein, die im Werbesingsang die Überlegenheit der künstlichen Materialien und Hilfsmittel predigt, Vereine okkupiert, im Tross mit Händlern, denen ein traditionell hergestellter Bogen schon nichts gelten kann, weil sie daran nicht so viel verdienen, der nicht in dem Maß reproduzierbar ist wie das Kunstprodukt. Das kommt aber nur auf die Bedingungen an.
Wir haben kein Problem, die etwas höhere Effizienz eines Carbon – Wurfarmes und die Konstanz, die ein optisches Zielsystem hervorbringt, neidlos anzuerkennen. Wer auf solche Spielereien abfährt, soll das ruhig treiben. Für den einen oder anderen Primitivschützen wäre es ganz gut, auch mal eine Zeit lang Visier zu schießen. Faszination der Präzision. Vize Versa.
Es kommt auf die Bedingungen an.
Unter bestimmten Bedingungen verlierst du deinen Carbonbogen und hast nichts mehr zum Schießen. Ohne Wissen, wie ein Bogen gebaut wird, bist du unter diesen Bedingungen verloren. Allein dieses Wissen ist wertvoll, ohne dass ich glaube, dass das jeder braucht.
Traditioneller Bogenbau ist ein Stück erfahrbare Natur, weil wir der Natur im Umgang mit dem Werkstoff in uns begegnen, und so kann das Schießen mit einem guten Holzbogen eine eigene Qualität entwickeln. Du lernst, dich mit deinen natürlichen Bedingungen auseinander zu setzen. Darin inbegriffen das Scheitern, aber genau darin liegt das Geheimnis, es geht nämlich darum, wie du mit deinem Scheitern umgehst oder eben mit dem Erfolg.
Ich habe unendlich viele Fehler gemacht. Meine Laune war über Tage unausstehlich, wenn ein verheißungsvoller Rohling sich mit einem Knall in die Brennholzkiste verabschiedet hat. Dann habe ich die Teile doch wieder rausgesucht und den Bogen zusammen gepusselt.
Oft war er gar nicht da geborsten, wo ich es vermutet hatte. Manchmal stellte ich erst nach längeren Proben vom gleichen Stück fest, dass dieser verdammte Baum einfach kein Bogen werden will. Pech.
Pech für mich, könntest du sagen, dass du dir nicht den einfachen Weg gehen kannst. Du schindest dich durch die Steilwand, wo es eine Gondel zum Gipfel gibt. Aber genau hier liegt der Unterschied: wenn du mit der Seilbahn den Gipfel nicht erreichst, haben Andere versagt. Wenn du den Kletterschwierigkeiten nicht gewachsen bist, hast du versagt und musst dich damit auseinander setzen.
Ich weiß, Vergleiche sind Versehrte. Und der Bogenbau ist mit dem Schießen nur verwandt. Aber diese Verwandtschaft liegt in einem uralten Geschlecht. Dabei spielt die Gefahr des Scheiterns eigentlich keine Rolle mehr, höchstens dadurch, dass sie sich in jedem Individuum wieder mit Schrecken zu verbreiten scheint. Das Scheitern liegt dem Tod zu nahe.
Aber deshalb spielen wir nur. Wir gewinnen: Erfahrung. Diese lässt sich dann vermitteln und dann wird ein guter Bogen daraus.
Diese Reflexion der Bedingungen des traditionellen Bogenbaus enthält viele offene Enden und wir laden alle am Thema Interessierten dazu ein, diesen Teppich und sein Muster weiter zu weben. Der aufmerksame Leser wird die weiteren Ursachen für diesen Sog in der Aufzählung vermissen, wo wir nur auf die Situation der Vereine eingegangen sind. Natürlich gibt es Schützen, die dort nicht kanalisiert sind.
Februar 2014 Martin Worf
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