Spine und Konterspine bei Holzschäften

Tradition und Präzision

Traditionelles Bogenschießen wird häufig in Zusammenhang gebracht mit verminderter Präzision und Performance gegenüber moderner,  industriell gefertigter Ausrüstung.
Wie in jeder anderen sportlichen Disziplin hat dies jedoch vor allem mit der Haltung des Schützen gegenüber seiner Ausrüstung und seiner Technik zu tun. Der Verdacht kommt auf, dass einige Schützen ihre mangelnde Konzentration und Technik mit der einfachen Ausrüstung entschuldigen.
Denn tatsächlich verschiebt sich die Gewichtung im System Schütze – Pfeil – Bogen im primitiven Fall immer zum Schützen hin, da er nicht in den Genuss der modernen Hilfsmittel wie Pfeilfenster, Auflage, Stabilisator, Klicker, Visier oder Übersetzung kommt. Dafür genießt er auf Turnieren das Privileg des Artenschutzes in Form einer eigenen Bogenklasse, die den Abstrichen an die Präzision hinreichend Ausgleich verschafft.

Spinewert – Abweichungen bei Holzschäften

Wer innerhalb dieser natürlichen Grenzen seine Technik weiter entwickeln möchte, stößt zwangsläufig irgendwann auf das Problem, dass seine  Holzpfeile  – bei allem Training – nicht so recht das tun, was sie sollen, nämlich dichte Gruppen ums Gold bilden, beziehungsweise Innenkills auf den 3D – Zielen markieren.
Du arbeitest an deiner Technik wie blöd, bekommst aber einfach keine konstanten Gruppen.
Du bestellst neue Pfeile beim Händler deines Vertrauens, gespined und gewogen: es hilft nix, die Abweichungen sind immer noch markant.
Schließlich gehst du der Sache selbst auf den Grund, handverlesene Schäfte, Gewicht stimmt auch,  den Schwerpunkt veränderst du über unterschiedliche Spitzengewichte, werkelst mit verschiedenen Befiederungsarten herum und trotzdem: einige Pfeile fliegen konstant, andere nicht.

Spinewert und Paradoxon

Vom physikalischen Standpunkt wurde dieses Problem des Pfeilflugs recht früh erkannt und machte im TAXOPHILUS (R. Asham) als „archers paradoxon“ Geschichte. Es geht dabei  einfach um die Massenträgheit  des Pfeils (hauptsächlich der Spitze) im Impulsmoment, welche durch die Elastizität des Schaftmaterials einen Teil dieser ersten Energie aufnimmt und zu einer Verformung ( Spine) des Pfeilschaftes hauptsächlich in der Längsrichtung führt .
Diese Verformung ist durchaus gewünscht, nur darf sie nicht das dem Bogen entsprechende Maß übersteigen. Schließlich ist das Geheimnis beim Primitivbogen der genau dazu passende Pfeil, weit wichtiger als beim Hightech  – Bogen, dessen  Schussfenster praktisch einen völlig steifen Pfeil erlaubt.
Dagegen muss sich der Pfeil beim Primitivbogen mindestens um den Betrag krümmen, um den die Sehne von der Kante des Bogenstabes  differiert, den wir umgehen müssen.

Bisherige Bestimmung des Spinewerts

Tatsächlich muss dieser Zusammenhang schon lange vorher bekannt gewesen sein, denn bereits die Holmegaard – Bogen weisen seitlich im Griffbereich eine starke Einbuchtung auf, stärker, als dies nur für komfortables Halten des Bogens erforderlich wäre. Ohnehin waren diese Bogentypen in vielerlei Hinsicht erstaunlich nahe an dem, was wir heute bauen, so dass nicht vermutet werden muss, dass hier nur ein blindes Huhn auch einmal fündig war.
Irgendwann wurde dann die Methode zum Messen der Schaftsteifigkeit entwickelt, indem der Pfeil mit den Jahresringen senkrecht an zwei Punkten aufgelegt und in der Mitte mit einem Gewicht von knapp 1kg belastet wird. Die dabei entstehende Verformung wird nun auf einen Tastmechanismus mit Zeiger übertragen, der mit geringen Abweichungen auf einer Skala den Wert für diesen Schaft anzeigt.
Ist ein Schaft für einen bestimmen Bogen zu weich, so wirkt sich das beim Pfeilflug durch starkes seitliches Schlingern aus, das sich auch in Abhängigkeit von der Befiederung, der Schaftlänge und dem Spitzengewicht mehr oder weniger schnell stabilisiert.

Auswirkungen falsch gespinter Schäfte

Im ungünstigen Fall schlägt der Schaft durch die übermäßige Verformung am Bogen an und wird so schon von der gewünschten Flugbahn abgelenkt. Er verliert dabei kinetische Energie, die von diesem Schlingern absorbiert wird und außerdem einen erhöhten Luft-wiederstand gegenüber dem linearen Flug erzeugt.
Hat sich der Pfeil nicht vor dem Eintreffen ausreichend stabilisiert, bleibt die Trefferlage völlig dem Zufall überlassen. In der Regel liegen zu weiche Schäfte tendenziell rechts vom Ziel.
An dieser Stelle sollte auch mit dem immer wieder vorgetragenen Missverständnis aufgeräumt werden, dass höhere Spitzengewichte generell zu einem stabileren Flugverhalten führen.
Verwende ich auf einem ohnehin zu weichen Schaft auch noch eine 125gn – Spitze, verstärke ich die Massenträgheit  und somit die Durchbiegung im Impulsmoment. Hier ist es ratsam, den hohen Spinewert durch eine leichte Spitze zu korrigieren (z.B. 80gn).

Korrekturmöglichkeiten (Tuning) fertiger Pfeile

Dagegen kann ich die schwerere Spitze natürlich verwenden, um den etwas zu steifen Schaft anzupassen. Vermutlich rührt diese Auffassung von diesem Umstand und der Tatsache, dass der trägere Pfeil Schießfehler eher kompensiert (was übrigens auch für die anderen Systembestandteile Bogen und Sehne zutrifft).
Generell bevorzuge ich Schäfte, die ca. 10# über dem Bogen liegen, gerade so viel, dass sich noch keine markanten Linksabweichungen bei der Trefferlage abzeichnen und der Schaft sich ohne Anschlagen am Bogen verabschiedet. Den genauen Wert muss jeder Schütze für sich ermitteln, da er neben dem verwendeten Spitzengewicht auch von der bevorzugten Schaftlänge abhängt. Aus verschiedenen Gründen schieße ich bei einer Auszuglänge von 29“ Schäfte mit 31“ Länge, die daher etwas härter sein dürfen.

Methode zur Ermittlung korrekter Schäfte durch Wolkenbilder

Soweit befinden wir uns auf bekanntem Terrain, das bisher beschriebene Phänomen ist als solches nicht neu und sollte hier nur noch einmal zur Verdeutlichung der Problemstellung zusammengefasst werden.
Denn es ist durchaus nicht gegeben, dass unter der Berücksichtigung der Lehrsätze ein Satz Pfeile entsteht, von dem alle gleich gut fliegen. Dieses Phänomen wollen wir nun genauer betrachten.
In Zusammenarbeit mit einem Kollegen haben wir folgende Methode entwickelt, die wir „Wolkenbilder“ genannt haben.
Zuerst werden die verwendeten Pfeile mit möglichst identischem Spine und gleichem Gewicht durchnummeriert, beispielsweise 1-12. Zwei Personen schießen dann diese Pfeile idealerweise mit demselben Bogen mehrfach aus drei unterschiedlichen Entfernungen (20 – 30 – 40m) auf die genormte Scheibenauflage. Nach jedem Durchgang werden die Nummern der Trefferlagen auf einem separaten Blatt, dem Wolkenbild eingetragen. Nach einem Durchgang kommen dabei 72 Einträge zustande.

Mögliche Gründe für Abweichungen bei gleichem Spinewert

Um eine bessere statistische Verteilung zu bekommen, empfehlen sich 3 Durchgänge, also 216 Pfeile. Danach werten wir die Wolkenbilder aus und ermitteln die stärksten Abweichler.
In einem Dutzend Pfeile sind das mindestens 2-3 Pfeile, ziemlich unabhängig vom verwendeten Schaftmaterial, wobei  sich für Kiefernschäfte – vermutlich auf Grund des hohen Harzanteils – tendenziell mehr Abweichungen zeigen. Fichte und Zeder scheinen homogener.
Auf empirische Weise kann also ein verhältnismäßig konstant schießbarer Satz Pfeile ermittelt werden, die Ausreißer landen im Müll, so war das bisher, eben auch ein wenig ärgerlich, wegen der Zeit und Mühe.

Konterspine

Aus dem Grund (und wegen meiner grundsätzlichen Schwäche für Individualisten) habe   ich mich dieser Abweichler  doch noch einmal angenommen, indem ich den Schaft von der Gegenseite, also in der Achse um 180° gedreht wieder in Richtung der Jahresringe gewogen habe und dabei auf einen Zusammenhang gestoßen bin.

Die Abweichler differierten zwischen den beiden Spinewerten um mehr als 8#, die anderen Pfeile mit guter Trefferlage nicht mehr als 2-3#! Dies führt zu der Frage, in welcher Spinegruppe dieser Pfeil überhaupt anzusiedeln ist.
Seit ich diese Methode der doppelten Spinewertbestimmung (Konterspine) anwende, habe ich deutlich weniger Ausschuss. Und natürlich leuchtet der Zusammenhang eigentlich sofort ein: warum sollte ein so inhomogenes Material wie Holz sich plötzlich als Pfeil so homogen verhalten und uns den Gefallen tun, immer nach beiden Seiten gleich stabil zu reagieren?
Dass es immer noch Pfeile gibt, die seltsam fliegen, hat im System Schütze – Pfeil – Bogen zumeist mit dem ersten Parameter Mensch zu tun, oder es ist eben wie mit den Bogen: nicht jeder Baum will ein solcher werden und würde lieber das geruhsame Leben eines Bücherregals führen.

Im Übrigen berichten mir Kollegen, die industriell gefertigtes Pfeilmaterial, also Alu, Carbon und deren Composite schießen, dass auch bei diesen Schäften Abweichungen vorkommen, die auf 2-3% taxiert werden. Ob hier mit der Konterspine – Methode Verbesserungen zu erzielen sind, sollte überprüft werden.  Allerdings gibt es hier keinen Bezugspunkt am Schaft außer der Leitfeder.

INDIANA wills wissen. Postet eure Erfahrungen. Danke.

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