Hintergrund/ Wissen
Physik im System Pfeil-Bogen-Schütze
1.1 Begriffe und Definitionen
1.2 Langbogen (LB) und Recurve (RC)
Unabhängig von Material und Länge wird der Langbogen bestimmt durch den Sehnenwinkel zum Wurfarmende (Tip) im aufgespannten Zustand und in Abhängigkeit von der → Standhöhe.
In Übereinstimmung mit den meisten internationalen Bogensportverbänden liegt dabei beim LB die Sehne gemessen von der → Nockkerbe max. 30mm am Wurfarm auf.
Ist die aufliegende Länge größer, gilt der Bogen als Recurve (RC).
1.3 Standhöhe (Sh) ist der max. Abstand der Sehne zum Wurfarm (WA) in Ruhe; die dabei (beim Aufspannen) gespeicherte Energie (E stored) steht potentiell an.
1.4 Das Zuggewicht des Bogens wird in Bezug auf eine Standard – Auszugslänge (28“ nach AMO) in englischen Pfund (lbs) gemessen und beinhaltet somit E stored. .
1.5 Als Nockpunkt bezeichnen wir den Punkt auf der Sehne, an dem der → Nock des Pfeils anliegt und die kinetische Energie (E kin) beim Lösen der Sehne angreift.
1.6 Der Pivotpunkt ist oberhalb des Griffbereichs, wo der Pfeil am Bogen anliegt; um diesen Punkt windet sich der Pfeil im Verlauf seiner Beschleunigung. Daher ist die Lage des Pivotpunktes bezüglich der auf den Bogenstab projezierten Sehnenlinie wichtig.
1.7 Der Ausschnitt eines Pfeilfensters am Bogenstab dient nicht nur der unverdeckten Sicht auf das Ziel, sondern vor allem geht es darum, den Pivotpunkt mit der besagten Sehnenlinie in Deckung zu bringen (Centercut).
1.8 Primitivbogen (PB) und moderner Langbogen (LB) unterscheiden sich außer im verwendeten Material hauptsächlich dadurch, dass beim PB der Pivotpunkt mehr oder weniger außerhalb der Mitte liegt und die Flexbewegung der Pfeilschäfte über den dynamischen → Spine innerhalb bestimmter Grenzen gehalten werden.
1.9 Als Archers Paradoxon ist die Verformung des Pfeilschafts im Impulsmomentbezeichnet worden, wobei dieser Tatsache eigentlich nichts paradoxes anhaftet.Problematisch ist daran nur, dass die standardisierten Messverfahren zur Bestimmung der → Spinewerte lediglich modellhaften Karakter haben, also nicht den dynamischen Spine des Pfeils wiedergeben.
2.0 Statischer und dynamischer Spine
2.1 Messverfahren: der Pfeilschaft (im Falle von Holz senkrecht zur Maserung!) auf zwei etwa 60 cm entfernte Punkte aufgelegt und in der Mitte mit einem Gewicht von 2lbs beschwert; die Durchbiegung des Schafts wird als Spinewert angegeben. Korrekterweise wäre (bei Holzschäften!) jedoch auch die Auslenkung der 180° rotierten Längsachse zu messen, vom Autor im Blog zu dem Thema als „Konterspine“ bezeichnet, denn diese Werte könne erheblich abweichen. Eine Erklärung dafür, dass sich Holzschäfte trotz identischer Spinemessung stark unterschiedlich verhalten können. Weiterhin spielen beim dynamischen Spine Faktoren wie das Spitzengewicht und die tatsächliche Schaftlänge eine Rolle. Der AMO – Standard ist auf die besagten 28“ und ein Spitzengewicht von 125gn bezogen. Dietmar Vorderegger liefert in seinem Pfeilbuch recht gute Korrekturwerte für die Abweichungen. Ein längerer Pfeil reagiert weicher, eine leichtere Spitze hat bezüglich des Impulses eine geringere Massenträgheit und verformt den Schaft daher weniger stark. Auch die Befiederung hat einen geringen Einfluss auf den dynamischen Spine.
2.2 Der Wirkungsgrad im System Bogen – Pfeil – Schütze wird in der Literatur (TBB Bd. 4) mit max. 68% angegeben, also wenn der Bogenbauer alles richtig gemacht hat, wirken bei einem 50# – Bogen nur 34# auf den Pfeil. Setzen wir hier einfach voraus, dass diese Angaben so stimmen, wenn sie auch ernüchternd sein mögen. Aber was geschieht mit den 32% Energie, die ich mühsam investiert habe? Auch für das System gilt der Energieerhaltungssatz, also gehen wir auf die Suche nach 16# !
3.0 Die begrenzenden Faktoren für den Wirkungsgrad
3.1 Wie in Punkt 1.3 erwähnt, ist im aufgespannten Bogen bei Standhöhe ein Betrag potentieller Energie (E stored) aus der Arbeit des Aufspannens der Sehne vorhanden. Der Betrag variiert stark mit der Bauart des Bogens und der gewählten Sh. Unser 50#@28“ – Bogen weist eine Sh von 16cm auf, so dass der tatsächliche Beschleunigungsweg (S) nicht 74cm beträgt, sondern lediglich 58cm. Dies gilt es bei der Einstellung der Sh zu berücksichtigen, eine höhere Sh bedeutet sicher mehr Komfort, aber auf Kosten der Leistung. Grundsätzlich werden die limitierenden Faktoren unter Punkt 3 zwar gegliedert aufgeführt, trotzdem stellen sie in der Praxis immer eine Gemengelage mit fließenden Übergängen dar. Dazu kommen wir in dern weiteren Aufzählung der Faktoren. Hier nehmen wir zunächst einen Verlust von 11-13% an, ein großer Faktor.
3.2 Bei der Messung des Wirkungsgrads wird die Differenz aus der Kraft im Auszug 28“ zum Zeitpunkt t0 zu der kinetischen Energie gebildet, die der Pfeil nach einer definierten Flugstrecke in tx noch aufbringt und damit eine Verformung oder Penetration erreicht.
Mit anderen Worten: der Wirkungsgrad eines mechanischen Systems ist die Differenz aus Input und Output.
Entscheidend ist also, wie hoch der Betrag an E kin im auftreffenden Pfeil ist. Dabei wird freilich unterschlagen, dass der Pfeil auf seiner Flugstrecke nicht nur eine ideal gestreckte Flugbahn zeigt, sondern Rotationsbewegungen, die durchaus Energie für die Verformung des Schafts und nicht unerheblich zur Erhöhung des Luftleitwiederstandes durch Vergrößerung des Frontprofils beitragen.
Rein rechnerisch kann der Luftleitwiederstand des Frontprofils eines Pfeils in Ruhe bestimmt werden; trotzdem erreicht der Pfeil nicht die sich aus der Differenz abgeleitete E kin, da die Amplituden der Rotationsbewegungen, also der Verformungen des Schafts über die Flugstrecke das Frontprofil vervielfachen. Es zeigt sich damit, dass der unter 3.2 diskutierte Faktor der Verformung eigentlich aus 2 Komponenten besteht. Aus diesem Grund sollte auch der Spinewert der gewählten (Holz-)Schäfte nicht zu niedrig, sondern im oberen Optimum gewählt werden. Die Amplituden fallen geringer aus und das Frontprofil verkleinert sich schneller, der Pfeil erreicht also auf kürzerer Strecke die ideal gestreckte Flugbahn. Schaftverformung und Luftleitwiederstand stehen in einer direkten Beziehung zu Lasten des Wirkungsgrads unseres Systems.
In sofern ist der Wirkungsgrad nur relativ aussagekräftig in Bezug auf ein System und kann nur hilfsweise zum Vergleich unterschiedlicher Systeme herangezogen werden. Um unterschiedliche Bogen bezüglich ihres Wirkungsgrades vergleichen zu können, müssten sie demnach alle das selbe Zuggewicht haben und mit dem selben Pfeil geschossen werden. Dies ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass der Leitwiederstand der Luft im Quadrat zur Geschwindigkeit wächst und damit nicht linear ableitbar.
Daraus folgt aber auch, dass Messungen der Pfeilgeschwindigkeit kurz nach dem Verlassen des Bogens ebenfalls nur relative Werte zur Beurteilung des Wirkungsgrades liefern können.
Wir setzen den Verlust an E kin für den Pfeil bei 10-14% an.
3.3 Wie in vielen mechanischen Systemen spielt auch hier die Reibung eine Rolle, hauptsächlich als innere Reibung (Inhärase) in den bewegten Teilen, also WA, Sehne, und Pfeilschaft. Die am Nock, den Tips und am Pivotpunkt auftretende Reibung (Gleitreibung) kann vernachlässigt werden. Der Hauptfaktor dürfte die Reibung im WA sein, der auf dem Rücken Zugbelastung und auf der Bauchseite Druckbelastungen ausgesetzt ist. Dazwischen muß im Querschnitt des WA eine neutrale Zone angenommen werden, in der sich die gegensätzlichen Kräfte aufheben. In diesem vereinfachten Drei – Zonen – Modell werden beim Auszug und Lösen des Pfeils Kräfte als Reibung zwischen den Schichten abgebaut. Das hat aber mit dem Verlassen des Pfeils, also mit dem Rückstellen der WA auf Sh noch kein Ende! Der Bogen schwingt nach, da die Massen der WA aus der Beschleunigung von der Sehne abrupt abgebremst werden, praktisch auf Null. Die freigesetzte Energie macht sich teilweise für den Schützen als Handschock, aber auch als deutlich spürbares Nachschwingen im Bogen bemerkbar. Daran ist jedoch teilweise auch die potentielle Energie E stored beteiligt, so dass auch hier eine Vermischung der Einflussfaktoren vorliegt. Rein empirisch gehen wir von 4-5% Verlust aus.
3.4 Massenbeschleunigung WA, Pfeil, Sehne. Die Eigenmasse der WA, immerhin knapp ein Pfund, muss über die Sehne verbunden mit dem Pfeil beschleunigt werden. Beim LB ist E max in t 0 und wird linear abgebaut bis zur Sh. Wie in 3.3 gesagt, verbleibt einiges an Energie, die über Schwingungen abgebaut wird, dabei im Bogen, zuletzt immer noch die beim Aufspannen der Sehne investierte Muskelkraft.
Fakt ist, dass hier allein die Unterschiede in der Bauart unterschiedlicher Bogen zutage treten. Wählen wir der Einfachheit wegen eine Aufteilung des WA in drei Sektoren: griffnah, mittig und oberes Drittel mit dem Tip. Auf Grund der Hebelgesetze ergibt sich grob eine Kraftverteilung im Auszug von 55%, 28%, 13% auf diesen Strecken.
Die Kunst des Bogenbaus besteht aus physikalischer Sicht darin, den Tiller des Bogenstabs entsprechend auszulegen und bei der Verteilung der Massen darauf zu achten, dass die äußersten Partien der WA möglichst geringe Massen aufweisen, da diese den längsten Weg beim Lösen des Pfeils zurücklegen, also Masse mal Weg= Arbeit.
In Abhängigkeit der anderen Größenbereiche fallen für diesen Faktor nochmals 7-10% an.
3.5 Abschließend zu diesen Betrachtungen noch eine kurze Bemerkung zum Thema Recurvebogen. Ständig wird in der Literatur und bei Verkäufern das Mißverständnis weitergetragen, dass der „Recurve mehr Energie speichert als der Langbogen“. Das ist physikalisch gesehen Nonsens. Haben die Recurves einen Akku? Kann ich mehr Energie speichern, als ich beim Auszug aufbringe?- Natürlich nicht. 50# bleiben und werden auch durch magische Besprechung nicht mehr.
Der Unterschied besteht einzig im unterschiedlichen Auszugsverhalten dieser Bogentypen: während die Kraft des Langbogens linear auf 50# anwächst und genau so wieder frei wird, ergibt sich aus dem Kraft – Weg – Diagramm des Recurves ein steilerer Anstieg der Kraft in der Anfangsphase. Dies bedeutet beim Lösen ein etwas anderes Beschleunigungsverhalten für den Pfeil: direkt nach dem Lösen ist der Impuls gleich, wird aber nicht linear abgebaut, sondern etwas langsamer und erzeugt damit einen dauerhaft höheren Impuls.
Dieser Vorteil muß jedoch aus Gründen der Stabilität mit höherer Masse an den WA – Enden erkauft werden, so dass der Gewinn je nach Bauart wieder aufgezehrt wird und zu mehr Handschock bzw. Vibration führt, was den Pfeilflug negativ beeinflusst.
22.01.2015 Martin Worf